BGH – Az. VI ZR 344/21 – die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO (rechts vor links) findet auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.
Zunächst zum Regelungsgehalt der genannten Normen:
Gem. § 8 Abs. 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Das gilt nicht, wenn die Vorfahrt durch Verkehrszeichen besonders geregelt ist oder für Fahrzeuge, die aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen.
§ 1 Abs. 2 StVO regelt indes, dass sich derjenige, der am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
§ 1 StVO bezeichnet also recht vereinfacht gehalten die Grundregeln des Straßenverkehrs, die zu jeder Zeit und von jedem Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen sind. Aufgrund der generellen Betriebsgefahr, die von motorisierten Fahrzeugen ausgeht, sind stets Vorsicht und allzeitige Rücksichtnahme geboten.
Der vom BGH zu entscheidende Fall lag zuvor schon zur Verhandlung beim AG Lübeck und beim LG Lübeck. Auch im Revisionsverfahren vor dem BGH hatte der Kläger allerdings keinen Erfolg. Die Revision wurde zurückgewiesen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Nun zum Sachverhalt:
Kläger ist der Halter und Eigentümer eines Fahrzeugs. Beklagter ist ebenfalls Fahrzeughalter- und Eigentümer. Im Jahr 2018 ereignete sich zwischen Kläger und Beklagtem ein Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Baumarktes. Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug eine zwischen den Parkflächen befindliche Fahrgasse. Der Beklagte befand sich mit seinem Fahrzeug aus Sicht des Klägers von links kommend ebenfalls in einer Gasse, die die Fahrspur des Klägers kreuzte. Das Blickfeld von Kläger und Beklagtem war aufgrund eines an der Kreuzung der Gassen geparkten Sattelzuges erheblich eingeschränkt. Schließlich kam es an der Kreuzung zu einer Kollision zwischen Kläger und Beklagtem.
Der Kläger machte Anspruch auf Schadensersatz für den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden geltend. Dabei argumentierte er damit, der Beklagte habe den Verkehrsunfall aufgrund des Verstoßes gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, „rechts vor links“, verstoßen.
Der Haftpflichtversicherer des Beklagten regulierte schließlich den Schaden des Klägers unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50%. Der Kläger begehrt mit seiner Klage den Ausgleich der restlichen 50% des ihm entstandenen Schadens. Er verlangt folglich einen 100%igen Ausgleich durch den Beklagten bzw. seinen Haftpflichtversicherer.
Vor dem AG hatte der Kläger teilweise Erfolg und erreichte eine Korrektur der Haftungsquote zu seinen Gunsten auf 70% zu 30%. Auch damit gab sich der Kläger jedoch nicht zufrieden.
Vor dem Landgericht hatte er keinen Erfolg. Auch der BGH beurteilte die Sache nicht anders.
Aus folgenden Gründen:
Gem. § 17 Abs. 1 StVG hängt der Umfang der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz von den Umständen und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Die Haftungsquote ergibt sich vorliegend zum einen daraus, dass der Beklagte hier zum einen gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe, indem er nicht die gebotene Geschwindigkeit einhielt.
Interessant an diesem Fall:
Ein Verstoß des Beklagten gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, auf den sich der Kläger vorrangig berief, wurde von den Gerichten abgelehnt. Die StVO – und somit auch § 8 – gelte zwar grundsätzlich auch auf privaten Parkplätzen, wenn diese für die Allgemeinheit zugänglich gemacht sind.
Eine direkte Anwendung des § 8 StVO kommt im vorliegenden Fall allerdings nicht in Betracht.
Bei der „Kreuzung“ der Fahrgassen auf dem Parkplatz, an der es zur Kollision der Fahrzeuge kam, handele es sich nach Ansicht des Gerichts nichtum eine Kreuzung im Sinne des § 8 StVO.
Eine Kreuzung im Sinne des § 8 StVO liegt vor, wenn zwei Straßen sich schneiden, so dass sich jede von ihnen über den Schnittpunkt hinaus fortsetzt. Eine Straße im Sinne des § 8 StVO ist nur bei Fahrbahnen gegeben, die dem fließenden Verkehr dienen, bei denen es den Verkehrsteilnehmern also um ein zügiges Zurücklegen einer Strecke ankommt. Entscheidende Merkmale für das Vorliegen einer Straße sind bsw. Markierungen auf der Fahrbahn, Bordsteine oder das Fehlen von Parkboxen entlang der Fahrbahn.
Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht der Gerichte nicht gegeben, denn es handele sich zum einen nicht um eine Straße, denn der Parkplatz, auf dem es zur Kollision kam, diene vorrangig dem Rangieren und der Parkplatzsuche.
Fazit:
Ob eine verkehrsrechtliche Regelung gilt, ist nicht an allen Stellen des Verkehrs immer ganz eindeutig. Insbesondere auf Plätzen und Flächen, die nicht eindeutig dem Straßenverkehr zugehörig, aber dennoch von Fahrzeugen befahrbar sind, gelten oftmals andere Regelungen.
Hier ist, um mögliche Schadensersatzansprüche zu vermeiden, besondere Vorsicht geboten.